Wen jagt die "Ostthüringer Zeitung"?

In der Medienlandschaft dominiere der Versuch, die Partei DIE LINKE "mit allen - auch manipulativen - Mitteln zu diskreditieren" und sie dadurch in der Wählergunst herabzusetzen, hat der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge analysiert. Aktuell liegt ein besonders dreister Fall in der in Gera erscheinenden "Ostthüringer Zeitung" (ehemals "Volkswacht") vom 23.2.2010 vor. Offenbar gehört es für manche Journalisten nicht mehr zu den Grundregeln ihres Berufs, zuerst zu recherchieren und dann Artikel zu schreiben, wenn es gegen die LINKE geht.

Unter dem reißerischen Titel "Jagdszenen in Erfurts Altstadt" verbreitet Redakteur Volkhard Paczulla eine Gruselgeschichte über Banden krimineller Vermummter, die sich angeblich regelmäßig in ein Erfurter Wahlkreisbüro der Linken flüchten und dort von rechtsbrecherischen Abgeordneten vor der Polizei geschützt werden. Anarchie und Chaos scheinen zu herrschen, folgt man dem Artikel. Schade, dass die schöne OTZ-Geschichte hauptsächlich dem Reich der Phantasie entsprungen ist. Es geht um noch ungeklärte Ereignisse vom Oktober 2009, in deren Folge im Justizausschuss des Landtags ein Antrag vorliegt, die Immunität der Abgeordneten Susanne Hennig (die mit Matthias Bärwolff Wahlkreisbüros in der Pilse, einer Straße in Angernähe, unterhält) und Frank Kuschel, der sich dort in der fraglichen Nacht als Gast einer Feier aufhielt, aufzuheben.
Während die Staatsanwaltschaft gegen Tatverdächtige noch ermittelt und der Justizausschuss einstimmig ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben hat, das die Frage klären soll, wie die Immunität von Wahlkreisbüros und der Arbeit von Parlamentsabgeordneten zu beachten ist - und damit den Ausschussmitgliedern ermöglichen soll, eine Bewertung zu treffen, ob die Landtagsabgeordnete Hennig sich zulässig, zutreffend und korrekt verhalten hat -, sind Innenminister Peter Huber, der Landtagsabgeordnete Wolfgang Fiedler (beide CDU), die in dem Artikel zitiert werden, und OTZ-Redakteur Paczulla offenbar schon weiter und wissen mehr.

Da werden aus juristisch bisher nicht geklärten Ereignissen aus der Nacht vom 30./31.10.2009 plötzlich Serientaten: "Neu ist, dass die autonome Szene immer öfter einen ganz bestimmten Fluchtweg nimmt, wenn Ordnungshüter ihr hinterher rennen: geradewegs ins Wahlkreisbüro der Linken."
Eine der Kernfragen, die in dem Artikel nicht einmal erwähnt werden, die vom Fraktionsvorsitzenden der LINKEN, Bodo Ramelow, in der Landespressekonferenz aber in Anwesenheit des Redakteurs Paczulla gestellt wurde, ist die, wieso sich den ganzen Abend über zwei, respektive drei, Zivilpolizisten im Wahlkreisbüro RedRoXX aufgehalten haben? Die waren schon dort, bevor irgendwo irgendjemand von irgendeinem anderen besprüht wurde und dann irgendwohin flüchtete. Ist das für einen Journalisten, der eigentlich von Berufs wegen neugierig sein müsste, wirklich so uninteressant?

Stattdessen wird den Lesern frech eine weitere Räuberpistole aufgetischt: "Susanne Hennig (...) hatte, als die Polizei dann doch ins Redroxx eindrang und die mutmaßlichen Täter festnahm, die Frage nach der Existenz eines Hinterausgangs verneint. Das war geschwindelt."
Schlicht falsch ist, dass Frau Hennig einen Hinterausgang nicht angegeben hat, denn wenn sie dies nicht getan hätte, müsste sie über die legendäre Gabe der Ubiquität (die Eigenschaft, überall sein zu können) verfügen. Sie müsste dann nämlich laut der Landtagsdrucksache 5/431 - einer Anfrage des CDU-Abgeordneten Fiedler und der Antwort des Innenministeriums - über die atemberaubende Fähigkeit verfügen, ein metallenes Rolltor von außen zu steuern, obwohl dazu im Inneren des Büros ein Schlüssel bedient werden muss. Anschließend müsste sie durch eben dieses geschlossene Tor vor den Augen der Polizei hindurchgewandelt sein, um nach innen zu kommen und nach Rücksprache mit der Staatsanwältin das Tor wieder zu öffnen und die Polizei hereinzulassen.
Im Übrigen ist gegenüber dem Justizausschuss und den beiden betroffenen Abgeordneten angegeben worden, dass Frau Hennig den Hinterausgang im Raum mit der Toilette verschwiegen habe und hierauf basiert laut Oberstaatsanwalt u. a. der Antrag auf Aufhebung ihrer Immunität.
Fest steht aber, dass Frau Hennig weder durch metallene Rolltore gehen kann noch dass jemals ein Hinterausgang verschwiegen wurde, denn es handelt sich um ein ehemaliges Ladengeschäft, das gemäß Auflage der Betriebsstättenverordnung selbstverständlich über einen zweiten Eingang verfügen muss und dieser zweite Eingang wurde auch vor den Augen der Polizei benutzt, damit Frau Hennig von außen nach innen gelangen konnte, um das Rolltor zu öffnen.
Fest steht aber auch, dass der von der Oberstaatsanwaltschaft angegebene Hinterausgang von ihr gar nicht verleugnet werden konnte, weil es in diesem präzise benannten Raum und auch in dem Nachbarraum überhaupt keine Hinterausgänge gibt. Wann war eigentlich Redakteur Paczulla vor Ort und hat sich mit den Räumlichkeiten vertraut gemacht?

Von schädlicher Sachkenntnis gänzlich frei fabuliert Paczulla fröhlich weiter: Im RedRoXX "wurde gerade kräftig gefeiert, etwa 30 junge Leute schienen bereit, ihr Feindbild Polizei mal wieder auszuleben." Eine durch nichts begründete Unterstellung, die sich als primitive Form der Stimmungsmache selbst kommentiert. Alle (!) Teilnehmer einer Feier in einem Wahlkreisbüro der LINKEN haben also von vornherein ein "Feindbild Polizei", das sie "ausleben". So einfach kann die Welt sein, wenn man bei der OTZ schreibt. Was wird den 30 Personen eigentlich konkret vorgeworfen?
"Von Reizgassprühern und Flaschenwerfern klar distanziert hat sich im linken Lager bislang nur Ramelow", wird außerdem im OTZ-Artikel behauptet. Das ist ausdrücklich falsch und sogar böswillig. Die Abgeordneten Bärwolff und Hennig haben unmittelbar nach den Ereignissen eine entsprechende, bis heute schriftlich nachlesbare Erklärung auf ihrer Homepage eingestellt und sich in der gleichen Klarheit ablehnend zu Übergriffen geäußert wie Bodo Ramelow. Wer lesen kann (und es tut), ist wie so oft klar im Vorteil.

Es bleiben zahlreiche weitere Fragen offen: Wieso passierten die Merkwürdigkeiten gerade an dem Tag, an dem das fünfte Geburtstagsfest der Wahlkreisbüros von Susanne Hennig und Matthias Bärwolff gefeiert wurde und wurden fortgeführt, als die Polizei längst präsent war?
Wieso haben sich zivile Polizisten gegenüber dem Landtagsabgeordneten Frank Kuschel nicht als solche zu erkennen gegeben und wieso hat die Einsatzleiterin gegenüber der Landtagsabgeordneten Hennig dazu keine Ausführung gemacht?
Wieso können genau diese zwei, respektive drei, Polizisten sich nun beleidigt fühlen, weil angeblich das Wort "Spitzel" oder "Spitzelei" gefallen sein soll?
Wird es als normal angesehen, dass vor der Flucht von Straftätern die Polizei schon über die Gabe des Hellsehens verfügt und frühzeitig vor dem Geschehen schon zivile Polizisten an den Ort des Geschehens sendet, die sich allerdings nicht zu erkennen geben und anschließend auch nicht bereit sind, innerhalb des Ortes, in dem sie sich aufhalten, ihre Pflicht zu tun und als Polizisten tätig zu werden?
Wie ist es zu schaffen, in der in der denkwürdigen Landtagsdrucksache 5/431 nachzulesenden Zeitspanne von 30 Sekunden von der Erfurter Polizeiinspektion Nord zum Wahlkreisbüro der Abgeordneten Hennig und Bärwolff zu kommen?
Warum werden zwei große Metallschilder an der Hauswand mit der Aufschrift "Wahlkreisbüro" von Vollzugsbeamten gerade nicht als Hinweise auf Wahlkreisbüros erkannt?
Warum war die Staatsanwältin, die den Antrag beim Gericht stellte, nicht davon informiert war, dass es sich um das Wahlkreisbüro der Abgeordneten Hennig und Bärwolff handelt? Alles keine Themen für Paczulla und die OTZ.

Man fragt sich: Welche Botschaft soll in dem OTZ-Artikel eigentlich über die beteiligten Abgeordneten der LINKEN verbreitet werden und warum? Auch das "Cui bono?" (Wem nutzt es?) - die berühmte Frage des Cicero -, hat hier hohe Relevanz.
Das Fazit fällt jedenfalls so aus: Offenbar gehört es für manche Journalisten nicht mehr zu den Grundregeln ihres Berufs, zuerst zu recherchieren und dann Artikel zu schreiben, wenn es gegen die LINKE geht.

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